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2.1
Allgemeines
2.1.1
Die Dolomitenfront
Schon vor der Kriegserklärung Italiens an die österreichisch-ungarische
Monarchie war die Tiroler Verteidigungsfront in fünf Subrayone
eingeteilt. Der Dolomitenabschnitt bildete den Subrayon V mit den
Grenzabschnitten 9 und 10. Er reichte vom Pordoijoch bis zur Kärntner
Grenze und hatte eine Ausdehnung von fast 90 Kilometern. Jeder
Grenzabschnitt zerfiel in Grenzunterabschnitte, diese wieder in
Kampfabschnitte. Im einzelnen sah die Aufteilung dermaßen aus:
Subrayon V:
Grenzabschnitt
9 (Pordoijoch bis Seelandbachtal):
Grenzunterabschnitt
9a1:
Kampfabschnitt Arabba, später Incisa
Kampfabschnitt Cherz
Kampfabschnitt Col di Lana / Sief
Grenzunterabschnitt 9a2:
Kampfabschnitt
Valparola
Kampfabschnitt Lagazuoi
Kampfabschnitt Fanes
Grenzunterabschnitt 9b:
Kampfabschnitt
Fanestal
Kampfabschnitt Gottres
Grenzabschnitt 10 (Seelandbachtal bis Kärntner Grenze):
Grenzunterabschnitt
10a:
Kampfabschnitt
Rufreddo
Kampfabschnitt Gemärk
Kampfabschnitt Landro, später Schluderbach
Grenzunterabschnitt 10b:
Kampfabschnitt
Zinnenhochfläche
Kampfabschnitt Fischleintal
Kampfabschnitt Burgstall
Kampfabschnitt Hornischeck, später Seikofel
Grenzunterabschnitt 10c:
Kampfabschnitt
Eisenreich
Kampfabschnitt Filmoorhöhe
Der Krieg ging im gesamten Subrayon V vom 23. Mai 1915 bis zum
italienischen Rückzug am 4. November 1917.
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2.2
Die Einheiten der Dolomitenfront
2.2.2 Die Kaiserjäger
Feldmarschall Svetozar Boroevic de Bojna: "In meiner mehr als
40jährigen Dienstzeit kenne ich die Kaiserjäger nur als Aristokraten
der Infanterie. Ich betrachte sie daher als Gardetruppen und werde sie
dort verwenden, wo ich einen todsicheren Erfolg erzielen will."
Am 17. Mai 1815 befahl Kaiser Franz I. die Aufstellung eines neuen Jägerregimentes
in Tirol und Vorarlberg. Als besondere Ehrung sollte es den Titel
"Tiroler Kaiserjäger" tragen. Mit dem 16. Januar 1816, dieser
Tag wird als Geburtstag der Kaiserjäger gefeiert, begann tatsächlich
die Aufstellung des Regimentes.
Am 1. Mai 1895 wurde eine Umstrukturierung des bis dahin auf 16
Bataillone angewachsenen sog. Großen Kaiserjäger-Regimentes
vorgenommen: Es wurde in vier Regimenter (zu je vier Bataiollonen)
umgebildet, die den Titel "K.u.k. 1., 2., 3. und 4. Regiment der
Tiroler Kaiserjäger" führten.
Vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Kaiserjäger 1821 in Neapel und
Piemont, 1831 in Modena und Parma, 1848/49 in Lombardei-Venetien, 1849
in Ungarn, 1859 in der Lombardei, 1866 in Tirol und Venetien, 1878 in
Bosnien-Herzegowina sowie 1882 in Süddalmatien eingesetzt und galten
bereits damals als Elitetruppen.
Mit Beginn des Krieges zwischen Österreich-Ungarn und Rußland im
August 1914 kämpften auch die Kaiserjäger an der Ostfront und hatten
einen überaus hohen Blutzoll zu beklagen. Ab Juli 1915 wurden die
Kaiserjäger nur noch an der Südwestfront - vom Ortler über den
Gardasee, die Dolomiten und die Julischen Alpen bis an den Isonzo -
eingesetzt.
Traditioneller Treffpunkt der Kaiserjäger ist der Bergisel, auf dem am
13. Oktober 1991 auch die Gedenkfeier anläßlich der Gründung des
Kaiserjägerregimentes in Anwesenheit von Otto von Habsburg stattfand
(siehe Bild).
2.2.5 Spezialeinheiten
- Die Sturmformationen: Sie sind gleichsam eine Frucht des
Stellungskrieges. Wenn die bewaffneten Kräfte monatelang unbeweglich
einander gegenüberstanden, mußte die gegnerische Front nach
Schwachstellen abgeklopft, mußten Angriffsabsichten aufgeklärt, mußten
nicht zuletzt die Truppen, neben dem Stellungsbau, im Einsatz geübt
werden. Zu diesem Zweck wurde Anfang 1917 eine Kaiserjäger-Sturmkompanie
mit Nahkampfabteilung (Minenwerfer, Wurfgranaten, Flammenwerfer usw.)
und eine hochalpine Kaiserjäger-Sturmhalbkompanie aufgestellt.
- Die Streifkompanien (später Hochgebirgskompanien): Die
Streifkompanien sind die Hochgebirgsformationen der Kaiserjäger. Sie
wurden im Sommer 1915 zusammengestellt, um die ausgedehnten
Hochgebirsgstellungen der Kaiserjäger mit Erfolg verteidigen zu können.
Ihre Offiziere und Mannschaften waren zu einem nicht geringen Teil
bergbegeisterte und berggeübte Freiwillge, die sich aus den vier
Kaiserjägerregimentern für diese Spezialaufgabe meldeten. Daneben gab
es noch Bergführerkompanien und Skidetachements.
2.2.6 Die Alpini
Im Jahre 1872 war die italienische Gebirgstruppe errichtet worden und
erhielt den Namen Alpini. Sie ist die älteste Hochgebirgstruppe der
Welt. Sie bestand 1916 aus 8 Regimentern, die an der gesamten Südwestfront
zum Einsatz kamen.
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2.3
Die einzelnen Frontabschnitte
In
diesem Kapitel möchte ich kurz sowohl den Frontverlauf in jedem
Abschnitt als auch bedeutende Ereignisse bschreiben:
2.3.1
Marmolata
1915 war das mächtige Eisgebirge der Marmolata zunächst aus
der Front ausgespart geblieben, nur Patrouillen lieferten sich kleine
Gefechte. Erst im Frühjahr 1916 besetzen die Österreicher die
Marmolata, während den Alpini nach einer Durchsteigung der gewaltigen
Marmolata-Südwand die Besetzung der Serauten gelang. Dadurch gerieten
die österreichischen Stellungen und ihr Nachschub in dauerndes
Artilleriefeuer.
Der österreichische Alpinreferent Leo Handl hatte die rettende Idee,
das gesamte Leben unter das Eis zu verlegen: Vom Gletscherfuß führten
Stollen durch das Eis bis zur "Eisstadt" - einer
Barackensiedlung im Gletscher - und weiter zu den Stellungen
"S" und "3200". Dort wurden Stollen in die Felswand
gebohrt, um der Artillerie Ausschußmöglichkeiten in die Südwand zu
geben. Damals beschäftigte man sich auch erstmalig intensiv mit der
Gletscherkunde, denn das Wissen um die Natur des Gletschers wurde zu
einer Überlebensfrage.
Der Winter 1916/17 gehörte durch extreme Schneefälle im Dezember und
anschließendem Tauwetter - aber auch weil erstmals Hunderttausende in
Hochgebirgsregionen waren und jede Erfahrung fehlte - zu den größten
Katastrophenwintern der Alpen. So löste sich am 13. Dezember 1916 von
der Punta di Penia eine gewaltige Lawine (150.000 Tonnen Schnee!) und
verschüttete das österreichische Lager Gran Poz. An die 300 Tote
forderte dieses größte Lawinenunglück der Geschichte.
Die Kämpfe dauerten bis zum italienischen Rückzug im Herbst 1917.

2.3.2 Col
di Lana
Der Col di Lana, von den Italienern auch Col di Sangue (Berg
des Blutes) genannt, war einer der Eckpfeiler der Dolomitenfront - und
zugleich einer der am heiß umkämpftesten Berge der Geschichte. Im
Gegensatz zum vergletscherten, hohen Kampfgelände der Marmolata sowie
im Gegensatz zu den schwierig zu bekämpfenden Felsen des Lagazuoi und
der Tofanen bot der Col di Lana nicht nur die Chance, an tiefer Stelle
durchzubrechen, sondern er förderte auch die italienischen Hoffnungen,
im alpinistisch einfachen Almgelände des Col di Lana mit großen Massen
durchbrechen zu können.
Von Kriegsbeginn an rannten die Italiener vergeblich gegen die deutsch-österreichischen
Stellungen an. Am 7. November 1915 eroberten sie den Gipfel, verloren
ihn jedoch schon am gleichen Tage. Am 15. Dezember griffen die Italiener
zum letzten Mal 1915 an - zugleich zum 97. Mal!
Nun begann der Minenkrieg: Am 17. April 1916 brach über den Gipfel des
Col di Lana ein Inferno herein: Nach schwerstem Beschuß durch eigene
Geschütze sprengten die Italiener mit 5.020 kg Dynamit den Gipfel
mitsamt der österreichischen Besatzung in die Luft. Die Österreicher
zogen sich auf den wenige Meter entfernten Monte Sief zurück und
hielten sich dort bis zum Kriegsende.
Am 6. März 1917 zündeten die Italiener eine Mine am Monte Sief, die
aber weder Verluste noch Geländeveränderungen brachte. Am 27.September
1917 erfolgte eine zweite, erfolglose Minenzündung der Italiener. Am
21. Oktober 1917 sprengten die Österreicher den Verbindungsgrat
zwischen Col di Lana und Monte Sief mit 45.005 kg Sprengstoff - doch
auch dies brachte keinen Frontwechsel. Nur zwei Wochen später zogen
sich die Italiener aufgrund der 12. Isonzo-Schlacht zurück.

2.3.3 Valparola, Sasso di
Stria, Falzarego und Lagazuoi
Vom Monte Sief verlief die Front weiter über den Sett Saß,
den Valparola-Paß, den Sasso di Stria (Hexenfels oder Hexenstein) und
den Falzarego-Paß auf den Kleinen Lagazuoi.
Der Sasso di Stria sperrte durch seine beherrschende Lage - zusammen mit
dem Sperrfort Tre Sassi - die Dolomitenstraße und den Zugang zum
Gadertal. Nachdem die Italiener am 14. Juni 1915 den Hexenfels im
Handstreich eroberten, wurden sie am 18. Juni wieder vertrieben. Die Österreicher
bauten ihn danach unaufhörlich mit Stellungen und einem langen
Versorgungsstollen aus. Diese waren notwendig, nachdem die Italiener
sich seit Oktober 1915 in der Wand des Kleinen Lagazuoi, dessen Gipfel
österreichisch war, auf einem Felsband verschanzten (Cengia Martini)
und von hier aus die österreichischen Nachschublinien unter Beschuß
nehmen konnten.
Versuche, die Italiener mit Infanterie von der Cengia Martini zu
vertreiben, scheiterten. Daraufhin begann auch im Lagazuoi der
Minenkrieg. Insgesamt erfolgten fünf Minensprengungen: Die Österreicher
zündeten vier Minen zur Vertreibung der Italiener von der Cengia (1.
Janauar 1916 mit 300 kg, 14. Januar 1917 mit 4.300 kg, 22. Mai 1917 mit
30.480 kg und 16. September 1917 mit 5.000 kg Sprengstoff), die
Italiener eine Mine zur Eroberung des Kleinen Lagazuoi (20. Juni 1917
mit 32.664 kg Sprengstoff in einem 1.100 m langen, heute noch begehbaren
Stollen). Obwohl die Minen unglaubliche Mengen an Gestein zum Absturz
brachten (was heute noch sichtbar ist), brachte doch keine den gewünschten
Erfolg.
2.3.4 Fanes, Travenanzestal
und Tofana I, II, III
Die österreichischen Linien verliefen vom Kleinen Lagazuoi
über die Lagazuoischarte zum Großen Lagazuoi, dem Gasserdepot, der
Fanisscharte, dem Fanisturm, dem Monte Cavallo, dem Monte Castello, den
Furcia Rossa-Spitzen, den Monte Vallon Bianco und das Travenanzestal bis
zu den Fanessperren. Die Italiener saßen auf den drei Tofanen, dem
Formenton und dem Col Rosa. Zu Kriegsbeginn waren der Col de Bois und
die Tofana I di Rozes in österreichischer Hand, doch wurden sie im
Oktober 1915 zur Frontverkürzung geräumt. Den Castelletto und die
Fontana Negra-Scharte verloren die Österreicher sogar erst im Juli
1916.
In diesem Bereich hatten zwei überaus befähigte, bekannte und beliebte
Offiziere das Kommando: Den Kampfabschnitt Lagazuoi befehligte der
Kaiserjäger-Hauptmann Carl von Raschin (Hauptquartier Fanisscharte),
den Kampfabschnitt Fanes der Landesschützen-Hauptmann Emanuel Baborka.
Bereits am 20. Juli 1915 fiel in der Fontana Negra-Scharte der
italienische General Cantore durch Kopfschuß. Im Juli 1916 kam es zu
den wichtigsten Kämpfen in diesem Frontabschnitt: Am 8. Juli setzte
schweres Infanteriefeuer der Italiener ein, das sich auf die Fontana
Negra-Scharte konzentrierte. Daraufhin stürmten die Alpini in immer
neuen Wellen gegen die österreichischen Stellungen an. Am späten
Nachmittag eroberten die Italiener die Scharte. Bei einem erfolglosen
Gegenstoß unter Führung von Hauptmann Baborka fiel dieser durch
Kopfschuß. Nach ihm wurde rund 60 Jahre später ein Biwak der
Dolomitenfreunde in den Furcia Rossa-Spitzen benannt. Am 9. Juli
eroberten die Italiener auch die Feldwache Dickschädel auf einem
Vorgipfel der Tofana I; die Feldwache Nemesis in den Wänden der Tofana
III seilte sich am 10. Juli, nachdem die Munition verschossen war, vier
Nachte lang - ohne Proviant - an der Tofanawand in das Travenanzestal ab
und meldete sich beim österreichischen Kommando zurück.
Doch noch gab es die österreichischen Stellungen am Schreckenstein/Castelletto
am Fuße der Tofana I. Um diese auszuheben, wurde bereits seit Januar
1916 an einem Minenstollen gearbeitet. Am 11. Juli zündeten die
Italiener die mit 35.000 kg Sprengstoff gefüllte Mine. Die überlebenden
Österreicher verteidigten sich verbittert und zogen sich erst am 13.
Juli zurück. Bis zum Kriegsende blieb die Front unverändert.
Die bedeutendste österreichische Einheit im Bereich des Lagazuoi, der
Fanes und der Tofanen war die Kaiserjäger-Streifkompanie 6 unter dem
Kommando von Hauptmann Raschin. Zu ihr gehörten auch die Leutnants von
Call, Dr. Sild, Schneeberger (alle Besitzer der Goldenen
Tapferkeitsmedaille) und Luis Trenker, der seine Erlebnisse an diesem
Frontabschnitt später in dem Buch und Film "Berge in Flammen"
erzählte.

2.3.5 Cristallo
Vom Monte Piano verlief die österreichische Front weiter über
den Rauchkofel, den Schönleitenschneid, Forame und Rufreddo bis an die
Son Pauses-Sperre, während sich die Italiener am Cristallo-Hauptkamm
festsetzten.
Es kam während des gesamten Krieges nur zu kleineren Gefechten.
2.3.6 Monte Piano
Der Monte Piano steht beherrschend wie eine Festung über der
Straße vom Misurina-See in das Pustertal. Sowohl für Österreicher,
welche die Nordkuppe besetzten, als auch für Italiener, welche die Südkuppe
in Besitz nahmen, war der Besitz des Berges von höchster Bedeutung.
Doch trotz heftiger Kämpfe konnte keine Seite die andere aus ihren
Stellungen vertreiben.
Heute ist das gesamte Gipfelplateu des Monte Piano ein Freilichtmuseum
des Dolomitenkrieges.
2.3.7 Sextener
Dolomiten
In den Sextener Dolomiten verlief die Front von Osten nach
Westen: Seikofl, Kreuzberg-Paß, Rotwand-Spitze, Sentinella-Scharte,
Elfer-Scharte, Toblinger Knoten / Paternkofel, Schwabenalpenkopf,
Katzenleiterkopf.
Im Osten konzentrierten sich die Kämpfe auf die Sentinella-Scharte, die
direkt zwischen dem italienisch besetzten Elfer und der von Österreichern
gehaltenen Rotwand liegt.
Im Westen waren der Toblinger Knoten (österreichischer Eckpfeiler), der
Sextenstein (italienische Kopfstellung) und zu Kriegsbeginn auch der
Paternkofel Hauptkampfpunkte. Am 4. Juli 1915 fiel bei der Erstürmung
des Paternkofels der bekannte Bergführer Sepp Innerkofler, der noch
wenige Wochen zuvor Hüttenwirt der Drei-Zinnen-Hütte gewesen war.

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